„Paradebeispiel“ für die Spaltung unserer Gesellschaft

Das Theater am Rand – eine Freundschaft, die nicht mehr ist

Pinnow, 3. Mai 2024

Liebe Kathi,

deine Frage rumort in mir.
Tatsächlich frage ich mich selbst schon geraume Zeit, ob ich nochmal ins Theater am Rand gehen möchte. Mein Lieblingstheater – bis neulich.
Eigentlich hatte ich beschlossen, dass ich nicht mehr gehe.
Nun, da du fragst und es damit konkret wird, ringe ich mit mir.
Das Theater ist so ein schöner Ort. Geworden – durch die Vision zweier Freunde. Ich weiß gar nicht, ob du um die Entstehung weißt. Und noch weniger, ob du um die Entzweiung weißt. Wodurch – natürlich durch Corona.
Das Theater ist ein Paradebeispiel (vermutlich ist das Wort an dieser Stelle eher unpassend) für die Spaltung unserer Gesellschaft. Da war eine Freundschaft, die nicht mehr ist – wegen Corona, wegen unterschiedlicher Ansichten zum Umgang mit Corona.
Scheiße!
Im „Briefwechsel“ vom Mai 2020 steht noch geschrieben, wie toll die beiden reagiert haben, versuchen wollten, sich dem ganzen Problem literarisch zu nähern. Der Versuch ist gescheitert. Sie haben sich getrennt. Machten jeder Seins, keine gemeinsamen Auftritte, keine gemeinsamen Veranstaltungen mehr, und gingen sich auch so aus dem Weg.
Ich habe Tobias in dieser Zeit kennengelernt und ihn bewundert, wie wertschätzend er blieb, wenn es um Thomas Rühmann und das Auseinanderbrechen ging. Kein böses Wort, Sachlichkeit und eine Spur Traurigkeit. Das Gespräch, der Austausch, sagte Tobias einmal, fehlten ihm.
Wie tief der Riss war, erfuhr ich erst aus der Presse – „Tobias Morgenstern verlässt das Theater am Rand“. Seine Kollegin Philine Conrad, die ich mehrfach in der von Tobias initiierten  Gesprächsreihe „Freies Wort – Freie Musik“ erlebt habe, schrieb in der Berliner Zeitung einen wirklich schönen offenen Abschiedsbrief. Diesem entnahm ich, dass es zwischen den beiden also zwischen Tobias und Thomas Rühmann, manchmal hitzig und feurig wurde, dabei aber immer respektvoll blieb.
Inzwischen wage ich das zu bezweifeln, habe anderes gehört. Auch was Tobias auf seiner Homepage schreibt, lässt mich aufhorchen – da spricht er mal Klartext! Für mich klingt es nach einem Dolchstoß von hinterrücks durch die Brust. Alles nicht schön und rechtlich offenbar zweifelhaft. Das hat mich echt erschreckt.
Ich lese es immer wieder und es haut mich jedes Mal um.

Was mache ich nun?
Zum Theater gehören ja auch noch andere Menschen und auch die Randwirtschaft, in der ich sehr gern zu Gast bin.

Ich habe noch einmal eine Nacht drüber geschlafen und mich entschieden: Ich würde Mama gerne mit dir zusammen einen Ausflug mit uns beiden ins Theater am Rand schenken – allerdings habe ich keine Lust auf Thomas Rühmann. Wenn ich also dabei sein soll, was ich gerne möchte, müssten wir ein anderes Stück aussuchen.
Wäre das für dich in Ordnung?

Liebe Grüße,
Nori.

 

Lest hier, was Katharina zuvor an Nora schrieb.

Mama und ihre Töchter

Ein Ausflug – vielleicht

Berlin, 30. April 2024

Liebe Nori,

jetzt weiß ich, was ich all die Jahre verpasst habe. Seit Sonntag kann ich deine Begeisterung für das Theater am Rand endlich nachvollziehen. Caro hatte mich ganz kurzfristig eingeladen und ich bin noch völlig geflashed. Was für ein Ort, was für ein Ambiente, was für eine Kunst – großartig!!! Und alles eingebettet in diese unglaublich schöne Landschaft. Ich bin total verzaubert.
Nun habe ich die Idee, falls du noch nicht weißt, was du Mama zum Geburtstag schenken willst (ich hoffe sehr, dass du es noch nicht weißt!), dass wir sie zusammen ins Theater am Rand einladen könnten. Mama und ihre Töchter – ein Ausflug. Was hältst du davon?
Ich habe auch schon mal geschaut, welches Stück terminlich passen würde – das wäre „Die Glut. Ein literarischer Säbeltanz nach dem Roman von Sándor Márai“ entweder am 15. oder 16. Juni oder das Wochenende darauf. Was sagste, biste dabei?
Bestimmt doch!!!

Ich drück dich Schwesterherz,
Kathi.

Lest hier Kathis letzten Brief an Nora.

Es geht nicht um Schuld und Entschuldigung …

… ich will wissen, wie es dir geht!

Löcknitz, 26. April 2024

Liebe Nora,

manchmal glaube ich, ich werde gesteuert. Ich weiß zwar nicht von wem, aber nicht von mir. Von meinem Unterbewußtsein? Meinem höherem Selbst? Von Gott? – Oh Gott!!!
Auf alle Fälle bin ich – dank dieser Steuerung –  seit gestern einen Schritt weiter in meiner Coronaufarbeitung.
Ich habe eine Frau im Nachbardorf besucht, bei der es mich immer sehr geschmerzt hat, dass wir uns über Corona getrennt haben. Nachdem ich gestern in Prenzlau zu tun hatte und eigentlich schnurstracks nach Hause wollte, fuhr mich mein Auto ungefragt ins Nachbardorf. Also wirklich, mein Auto fuhr mich zu ihr. Und dann stand ich in ihrer Küche und sagte: Ich weiß, du willst nicht aufarbeiten und ich brauche das in dem Sinne auch nicht, mir geht es nicht um Schuld und Entschuldigung, aber ich will von dir wissen, ich will wissen, wie es dir ging, wie du mich wahrgenommen hast, was zwischen uns passiert ist und ich will, dass du von mir weißt, wie es mir ging und geht…
Und weißt du, was sie geantwortet hat?
Sie fragte: Wollen wir gleich?
Und ob ich wollte. Nora, es war total schön. Wir haben zusammen geweint. Das war sehr bewegend.
Jedenfalls erzählte sie mir, dass sie wahrnähme, dass die Regierung gerade dabei sei, Sachen zuzugeben. Also zuzugeben, dass Dinge falsch gelaufen sind. Ich habe das Gefühl, es  brauchte erst dieses offizielle Eingeständnis, damit sie ihren Blick nun auf Sachen richten kann, die für sie vorher überhaupt nicht in ihrem Sichtfeld lagen.
Nun sieht sie diese Sprachlosigkeit, und zwar ganz deutlich, sieht, dass unser Auseinanderdriften auf Vermutungen gefußt hat, dass wir uns mit unseren Vermutungen gegenseitig zu Deppen gemacht haben und nur aufgrund dieser Vermutungen nicht mehr miteinander konnten und wollten. Das fand ich sehr interessant.
Langsam dringt auch das Thema Impfung in ihr Bewusstsein und die damit einhergehende Ausgrenzung von uns Ungeimpften – sie sagt, sie habe das damals überhaupt nicht wahrgenommen, weil sie so mit sich beschäftigt war.
Mit einem Mal kann sie dieses Leid sehen, das wir durch diese Ausgrenzung erlebt haben, die sie nicht erlebt hat. Dafür hat sie andere Dinge erlebt, zum Beispiel die Einsamkeit während des Lockdowns.
Ich bekomme noch immer eine Gänsehaut, wenn ich uns da stehen sehe in ihrer Küche. Es tat so gut. Tut es noch immer. Ich bin so froh, meinem Auto (oder wem auch immer) gefolgt zu sein und bin gespannt, was weiter passiert.
Das Leben ist schön, finde ich.

Emma.

 

 

 

Reicht aufschreiben?

Wie umgehen mit dieser Zeit?

Pinnow, 24. April 2024

Liebe Camilla,

ich kann mich tatsächlich noch daran erinnern, wie begierig ich diesen deinen Text im Magazin von 1-19 verschlungen habe. Deine Fragen waren auch meine Fragen.
Was sagst du heute, drei Jahre später? Hast du Antworten? Wie erlebst du den Umgang mit der CoronaZeit, die ja gerade erst vorbei ist – ist sie vorbei? – in der die Welt plötzlich Kopf stand?
Mich schaudert es, wenn ich von all den Ungeheuerlichkeiten lese, die du aufzählst, die aber tatsächlich genauso passiert sind. Von denen so viele Menschen aber nichts mitbekommen haben. Nichts mitbekommen wollten?
Mein Papa fragte mich gestern völlig perplex, was du mit Waffengewalt meinst – Pfefferspray? Nein!!! Richtige Waffen. Ich habe es noch ganz deutlich im Ohr, wie Paul Brandenburg in seinem Podcast davon erzählte, wie das SEK seine Wohnung gestürmt hat, mit entsicherten (waren es?) Pistolen …  Jedenfalls keine Spraydosen!
Was machen liebe Camilla?
Reicht aufschreiben?

Liebe Grüße,
Nora.

Lest hier, was Camilla an Nora schrieb!

Weichgespülte Erinnerung

Meine Erinnerung ist wie ein Paket

Löcknitz, 23. April 2024

Liebe Nora,

ich gedulde mich.
Muss dir aber unbedingt schon heute schreiben, weil mich dein Text aus der CoronaZeit echt bewegt. Es ist total gut, dass du das alles so genau aufgeschrieben hast. Ich habe Vieles gar nicht mehr im Detail parat, ganz im Gegenteil, ich merke, dass Etliches von dem, was ich erlebt habe, in meiner Erinnerung wie weichgespült ist. Meine Erinnerung ist wie ein Paket, das ich fest verschnürt habe und an das ich nur als Paket denke und an die Einzelteile, die darin stecken, gar nicht rankomme.
Das ist verrückt!
Dein Text hat mich echt bewegt. Vor allem auch das, was du über Jens schreibst. Und da kommt mir die Frage, ob es damals nicht auch einen Grundknacks in dir gegeben hat … Dieser wackelnde Mann .. Stand er zu dir und zu dem, was du gemacht hast, was du gesehen hast, wie du gedacht hast? Natürlich muss er nicht so denken wie du, aber eine Stärkung sein – oder? Darüber habe ich nachgedacht. Weil es mich irgendwie total traurig berührt hat.
Ich weiß nicht, ob das bei mir gegangen wäre, mit Micha …

Ich denke weiter …
Unser Austausch gefällt mir.

Liebe Grüße
von Emma, die seit heute – jippiyeah – Urlaub hat 🙂

 

Hier findet ihr Noras letzten Brief an Emma – vom 21. April 2024